„Ihr habt uns wie Menschen behandelt“

Bido heißt nicht so. Er nennt sich nur so. „Sicher ist sicher“, sagt er. Da er einen Facebook-Account habe und die Politik in seiner Heimat Syrien scharf kritisiere, sei es besser, im Internet unter falschem Namen zu leben. Auch für diese Story sei es besser, mit falschem Namen genannt zu werden. Fotos? „Kein Problem, ich bin weit weg von Syrien.“

Seit Montagabend ist Bido in Villach. Er will hier bleiben, wird einen Asylantrag stellen. „Das muss das schönste Land der Welt sein“, sagt er über Österreich: „Hier wurden wir zum ersten Mal mit Respekt behandelt.“ Wir, das ist eine Gruppe von knapp 30 Flüchtlingen, die sich am Weg nach Europa gefunden hat und die zusammengeblieben ist. Bido war ihr Sprachrohr. Der 20-Jährige hat in Damaskus seine Schule abgeschlossen und spricht ausgezeichnet Englisch. Er hat jeden Ort, jede Route, die sie genommen haben, in seinem Kopf abgespeichert. Er kennt die Namen der politischen Oberhäupter in den Ländern, die er durchquert hat. Er weiß, was die „Dublin-Verordnung“ besagt. Er ist ein kluger Kopf. Kaum 30 Stunden in Villach, hat er sich bereits von einer Helferin die wichtigsten Begrüßungsfloskeln auf Deutsch aufschreiben lassen. „Ohne die Sprache des Landes zu sprechen, ist Erfolg unmöglich“, sagt er.

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„Guten Tag“, „Ja“, „Nein“ – Bido lernt
bereits die ersten deutschen Wörter

Für Bido könnte in Villach eine Odyssee des Wahnsinns enden. Seit Oktober 2011 ist er unterwegs. Einst hatte seine Familie in Damaskus ein schönes Haus. „Wir waren nicht reich, aber es hat uns an nichts gefehlt“, sagt er. Bis zu dem Tag, an dem eine Granate in seinem Elternhaus einschlug. Da wusste er:  hier hat er keine Zukunft. Hier gab es Krieg. Er wollte in Frieden leben. Also Europa.

Mit Geld von Verwandten machte er sich auf die Reise. In Flüchtlingscamps in Jordanien und dem Libanon erlebte er die Hölle. „Ich will über diese Zeit nicht mehr reden“, sagt er: „Das sind arabische Länder, roh und menschenfeindlich.“ Irgendwann brach er mit einem Freund aus einem der Wüstencamps aus, machte sich auf den Weg: „Was hatten wir zu verlieren?“

In der Türkei erging es Bido nur unwesentlich besser: „Die Flüchtlinge konnten dort zwar immer wieder einfache Jobs finden. Aber wir wurden deutlich schlechter als die Einheimischen bezahlt und das brachte die Menschen gegen uns auf: Wir waren plötzlich Billigkräfte, die ihnen die Arbeit wegnahmen.“

In Griechenland war er nur zwölf Tage, auf der Insel Lesbos. Die Menschen dort seien nett gewesen, aber zu tausenden seien die Flüchtlinge in Fabrikshallen gestopft worden, in denen es nur ein einziges Fenster gab. Bido wechselte vorübergehend die Seiten, ob seiner Englisch-Kenntnisse wurde er als Helfer im Camp eingesetzt. Für eine Fähre nach Athen hätte er schließlich 72 Euro gezahlt, sehr viel Geld. Aber die Aussicht  auf ein weiches Bett und eine warme Dusche sei zu verlockend gewesen.

In Mazedonien war Bido nur wenige Stunden. Mit Bussen sei er mit seinen Kollegen von einer Grenze zur anderen gebracht worden.

In Serbien mussten sie – wieder einmal – rund 20 Kilometer zu Fuß gehen. In der Nacht. „Es war sehr kalt, die meisten von uns haben sich erkältet. Ich auch“, sagt Bido. Bei einem Camp mussten sie dann wegen Formalitäten neun Stunden lang Schlange stehen, mit Schüttelfrost und Fieber. Eine Teil der Strecke zur ungarischen Grenze habe die über die Monate auf rund 30 Mitglieder angewachsene Gruppe mit Taxis zurückgelegt: „20 Minuten Fahrt für 100 Euro. Es kam beinahe zu Raufereien mit den Fahrern.“

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Bido zeichnet seinen Weg
von Serbien nach Ungarn auf

Überhaupt habe er ab Griechenland für alles zahlen müssen, deutlich mehr als Einheimische für die selbe Leistung: „Wenn eine Flasche Wasser für die umgerechnet einen Euro gekostet hat, dann hat man bei uns 3 Euro verlangt. Österreich ist das erste Land, in dem man uns Dinge schenkt.“ Andererseits habe er auch überaus hilfsbereite Menschen kennengelernt. Ein serbischer Busfahrer habe seine Kompetenzen weit überschritten und sie möglichst nahe an die ungarische Grenze gebracht. „Das war ein guter Mann“, sagt Bido.

In Ungarn gab es einen Tag lang keinen Schlaf und fast nichts zu essen. „Sie steckten uns einen Klumpfen Brot, eine kleine Wasserflasche und etwas Undefinierbares zu. Wenn Menschen völlig ausgehungert sind und trotzdem 90 Prozent das Essen verweigern, kann man sich vorstellen, was für ein Fraß das war.“ Statt Nahrung bekamen die Flüchtlinge Registrierungs-Armbänder. Bido hat seines aufbewahrt. Als Erinnerung.

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Solche Identifizierungbänder
erhielten die Flüchtlinge in Ungarn

Und dann Österreich. „Ihr habt uns von Anfang an wie Menschen behandelt. Als erste überhaupt“, sagt Bido: „Meine Freunde sind gestern von Villach nach Deutschland weitergereist. Sie haben gesagt: Komm mit, Deutschland ist das beste Land. Aber ich habe ihnen nur nachgewunken und gesagt: Hier bringt mich niemand mehr weg. Dieses Land ist der Himmel.“

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Heute sind die Flüchtlinge zu mir gekommen

Bisher war man in Villach ja in einer bequemen Position. Die Flüchtlings-Problematik hatte Kärnten kaum erfasst. Man weinte, so man zur Empathie fähig ist, maximal über Ungarn. Oder über Nickelsdorf.

Heute, Montag, endete diese Distanz-Betroffenheit. Plötzlich hieß es: bis zu 600 Flüchtlinge sind im Bus von Wien nach Villach unterwegs. Sie werden im Stadtteil Seebach in großen Garagen untergebracht. Und damit zu meinen Nachbarn. Ich lebe – Luftlinie – 500 Meter entfernt. Aber dazu später.

Zunächst galt es, die Druckmaschinen anzuhalten. Die Villach-Ausgabe der Kärntner WOCHE war eigentlich schon fertig, die 64 Seiten im Belichtungsmodus. Aber ohne die Flüchtlingsstory erscheinen? Eben.

Ich aktiviere meine Kontakte im Magistrat und in der Landesregierung, die spärlichen Erstinformationen verdichten sich zu einer wasserdichten Story. Online first, Artikel raus, schneller als die Kollegen. Überraschend, schließlich bin ich eine One-Man-Show.

Dann Print. Titelseite neu, Doppelseite neu, Kommentar neu. Ich funktioniere wie in alten Tageszeitungs-Zeiten. Gut zu wissen.

Schließlich ab zu den Garagen am anderen Ende der Stadt. Eindrücke sammeln, Bilder machen. Es regnet. Der ORF ist schon da, sonst keine Journalisten. Ich fotografiere, bediene Twitter. Hunderte Flüchtlinge – Männer, Frauen, Kinder, Babys. Was die freiwilligen Helfer von Rotkreuz und Feuerwehr geschafft haben, verdient Respekt: Von der Erstinfo bis zum Eintreffen der Flüchtlinge waren es nicht einmal drei Stunden. Dennoch wurde eine Halle gefunden, ausgeräumt, gereinigt und mit hunderten Feldbetten bestückt. Ärzte waren da; die gerade erst wenige Tage zuvor erfolgte Gründung eines syrischen Kulturvereins in Villach macht sich bereits bezahlt: 15 Dolmetscher stehen zur Verfügung. Dann kommen die Flüchtlinge in den Bussen.

Alles läuft extrem koordiniert und ruhig ab. Essen, Getränke, Kleidung, WC-Papier, Binden – es fehlt an nichts. Außer Zigaretten und WLAN. Aber auch das wird noch kommen. Apropos noch kommen: Was nun bevorsteht, weiß keiner. Weder Landeshauptmann Peter Kaiser, noch Villachs Bürgermeister Günther Albel haben eine Ahnung, wie lange die Flüchtlinge in Villach bleiben sollen. Zumindest Albel schien aber Vorbereitungen getroffen zu haben. Erst vor einer Woche gab es eine Sitzung mit den Chefs aller Hilfsorganisationen mit der zentralen Frage, was man für den Fall der Fälle tun müsste. Auch die Garagen waren vorab gecheckt. Der Unternehmer hatte sie – für Notfälle – der Stadt angeboten.

Ein junger Afghane (25?) spricht mich an. Wo er hier eigentlich sei. Wie weit es nach Deutschland sei. Oder nach Frankreich. Dort hätte er einen Bruder. Als ich ihm sage, dass sich die Garagen nur einen Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt befinden, mit direkter Zugverbindung nach Deutschland, erhellt sich seine Miene. Ich sage ihm, dass er damit rechnen muss, dass ihn weder in Deutschland noch in Frankreich irgendwer mit offenen Armen empfangen wird. Er versteht nicht. Ich sage ihm, dass hunderttausende Flüchtlinge vor ihm nach Deutschland gelangt wären. Er scheint das nicht gewusst zu haben. Er wirkt verzweifelt. Ob ihm etwas fehle, frage ich. Ja, Zigaretten, sagt er. Ich verspreche, mit Zigaretten zurückzukommen. Ich lasse mich zu einem Automaten fahren. Erstmals in meinem Leben schlage ich mich mit so einem Zigarettenautomat herum. Was für eine Trottel-Erfindung! Drei Packungen Camel, das muss reichen. Ich fahre zurück, mein Freund wartet auf mich, er reißt eine Packung auf und steckt sich eine Zigarette an. Ob Frankreich oder Deutschland besser sei, will er wissen. Ich habe keine Ahnung.

Er erzählt mir von seiner Flucht-Route: Über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn ist er nach Österreich gekommen. Seit zwei Monaten ist er unterwegs. In seiner Heimat, in Afghanistan, könne man nicht mehr leben: „Die Taliban sind verrückt.“ Im Iran und in Bulgarien sei er von der Polizei geschlagen worden, in Österreich werde er am besten behandelt. Dann muss er in den Bus, denn die Afghanen werden ein paar hundert Meter weiter in ein anderes Quartier gebracht. Getrennt von den Syrern. „Besser so“, sagt ein Dolmetscher.

Ich gehe im Regen nach Hause. Es sind nur ein paar Minuten zu Fuß. Ich bin völlig durchnässt, ich habe meinen Schirm verloren, mein linkes Bein schmerzt wieder einmal. Aber das ist alles egal. Denn das Entscheidende ist: ich gehe NACH HAUSE.

Über Irrtümer zum Journalistenalltag

Am Anfang steht ein Text von Silvia Jelincic, der Gründerin des Meinungsportals „fischundfleisch“. Es geht darin um einiges – auch um junge Journalisten. Jelincic zitiert einen nicht näher genannten Lehrbeauftragten im Journalistenbereich mit den Satz: „Die Wenigsten zeigen Eifer.“ Es folgen Ratschläge an den Nachwuchs: „Geht raus auf die Straße! Macht Euch Termine, trefft zB Aufsichtsräte interessanter Firmen und Politiker, so stößt ihr bestimmt auf gute Geschichten!“

Ich habe keine Ahnung, wie es pauschal um den heimischen Journalisten-Nachwuchs steht, habe aber immer wieder sehr engagierte junge Kollegen und Kolleginnen getroffen. Kollektive Faulheit wäre mir nicht aufgefallen. Andererseits: Was weiß man, mit dem der Herr Professor im Alltag zu tun hat.

Ich finde bei Jelincic keinen Hinweis darauf, dass sich die Kritik vor allem an Online-Redakteure richtet. Iwona Wisniewska von derstandard.at – die ich wie Jelincic nur von Twitter kenne (und als kritischen Geist schätze) – nahm ihn aber zum Anlass, um auf ihrem Blog zu replizieren. Mit der Begründung, dass Jelincic „natürlich“ hauptsächlich Online-Journalisten meine, „denn der kleinste Teil des Nachwuchses geht in einen Job, in dem (nur) Print gemacht wird heutzutage“. Ein nachvollziehbarer Schluss, wie ich meine.

Doch so wie Wisniewska Jelincic mangelnde Kenntnisse des Arbeitsalltages von Online-Redakteuren vorwirft, möchte ich auf Defizite der Wisniewska-Überlegungen zur Arbeit im Print-Bereich hinweisen. Die beschriebenen paradiesischen Zustände mit Kaffeepausen, massiv Zeit zum Recherchieren und mit Layoutern, die sich um den lästigen Teil der Arbeit kümmern, sind fast nur noch bei jenen Medien zu finden, die ohne Presseförderung noch schlechter dastünden als es ohnedies der Fall ist.

Der überwiegende Teil der Print-Redakteure ist längst bei einem weit intensiveren Arbeitsalltag angekommen, der meinem nicht unähnlich ist.

Zur Erklärung: Ich arbeite als Redaktionsleiter des Villach-Büros der RMA. Netto habe ich mich um rund 20 Seiten pro Woche zu kümmern. Ich schreibe einen relevanten Teil der Storys selbst,
* lektoriere alle anderen,
* kümmere mich um einen Großteil der Layouts,
* fertige oder suche die meisten Bilder,
* bediene neben der Printarbeit auch die Villach-Seite der RMA-Homepage,
* stelle nicht nur die Print-Artikel online, sondern auch Berichte, die ausschließlich digital erscheinen,
* fertige von kurzen Printartikeln längere Online-Versionen (Reportagen),
* erledige die Arbeit der Facebook-Seite,
* verlinke und teasere auf Twitter,
* kümmere mich um Leser-Feedback (Postings),
* organisiere bei Bedarf (wie jetzt, vor der Kärntner Gemeinderatswahl) Podiumdiskussionen und
* versuche, die meisten meiner Quellen und Informanten, ganz die alte Schule, nicht telefonisch anzuzapfen, sondern sie persönlich zu treffen.

Es gibt Wochen, da schreibe ich unter diesen Umständen für Print nur sechs größere Geschichten, es können aber auch einmal 15 sein. Nicht alles davon ist von nennenswerter Qualität, aber der Anteil der Exklusivstorys, der mir als alter Printesel wichtig ist, scheint mir nicht so übel zu sein. Ein paar Coverstorys:

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Worauf ich hinaus will. Sowohl Print als auch Online wird in Österreich großteils unter herausfordernden Umständen gearbeitet. Und in immer mehr Redaktionen wachsen die einst streng getrennten Bereiche derzeit zusammen. Je mehr Irrtümer wir ausräumen, desto  einfacher wird die Fusion.

„Zwölf Prozent machbar“

2012 wechselte Wolfgang Ainetter als Chefredakteur von der österreichischen Gratiszeitung „Heute“ zum Wochenmagazin „News“. Dieses Interview wurde damals für das Branchenmagazin „ExtraDienst“ geführt.

Herr Ainetter, Sie scheinen ein Mann für schwierige Aufgaben zu sein. Zuerst die Arbeit mit der als kompliziert verschrieenen Eva Dichand bei „Heute“, jetzt „News“, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Kurzer Rückblick: War „Heute“ ein Fehler? Immerhin haben Sie schon nach wenigen Monaten gekündigt.
AINETTER: Es ist mir gelungen, die Reichweite von „Heute“  in Wien von 37,6 auf 41,5 Prozent zu heben, österreichweit von zwölf auf 13,1 Prozent. Das sind zehn Prozent mehr Leser innerhalb eines Jahres und ein neuer Rekordwert. Da kann man also nicht von einem Fehler sprechen. Im Gegenteil: es war eine spannende Zeit und das Kapitel „Heute“ ist erfolgreich abgeschlossen.

Kein Blick zurück im Zorn? 
AINETTER: Die Zahlen, die mein Team und ich erreicht haben, muss erst einer nachmachen. Was für mich dramatisch gewesen wäre: wenn die Reichweite zurückgegangen wäre. Das wäre sicher­lich ein Signal für einen falschen Zugang gewesen. Das hätte ich als frustrierend empfunden. Und dass ich nach meinem Abgang sofort einige Topangebote hatte, zeigt mir auch, dass andere das ähnlich sehen.

Haben da einfach zwei Leute – Sie und Eva Dichand – nicht zusammengepasst? 
AINETTER: Die Geschichte zwischen Eva Dichand und mir kann man überall nachlesen.

Reden wir über „News“. Was werden Sie ändern? 
AINETTER: Der eingeschlagene Weg mit dem optischen Relaunch ist ein guter Start …

Begeisterung klingt aber anders.
AINETTER: Neben der Arbeit an der Optik werden wir nun in einem zweiten Schritt die Positionierung weiter schärfen. „News“ muss wieder mehr anecken, Menschen auf die Füße treten. Nur so wird man relevant. Wir werden also stärker polarisieren. Es wird wieder häufiger der Fall sein, dass sich Menschen über uns ärgern. Insgesamt muss „News“ auch mehr emotionalisieren, mit Bildern und Geschichten, die berühren.

Was sind die Themen, mit denen „News“ punkten kann?
AINETTER:
 Mit Kurt Kuch haben wir den besten Aufdecker in diesem Land. Wenn man, wie ich, bei Alfred Worm in die Schule gegangen ist, will man solche Geschichten im Blatt haben. Was Kuch macht, genau das braucht „News“.

Junge Menschen gewinnt man mit zwar wertvollen, aber trockenen Telekom-Storys aber eher nicht. Und „News“ braucht dringend neue Leser.
AINETTER: Aufdecker-Stories sind wichtig für Image und Relevanz. Für die Jungen braucht man eine besonders gut abgestimmte Mischung aus Seriosität und Unterhaltung. Und das habe ich während meiner Zeit bei der Bild-Zeitung gelernt. Wo „News“ stärker werden muss, ist der People-Teil. Auch in diesem Bereich muss es wieder den Anspruch geben, exklusive Stories zu haben. Es geht heuer weniger um eine Society-Wochenschau als vielmehr um das Setzen eigener Themen.

Fürchten Sie nicht, dass „News“ – in einer Zeit der medialen Spezialisierung – als thematisches Allerweltsmagazin eine sehr, sehr schwere ­Zukunft haben wird?
AINETTER: Ich sehe nach wie vor einen großen Markt für „News“, auch wenn jede Zeitschrift, jedes Magazin heute weit mehr um Leser kämpfen muss als noch vor fünf Jahren. Die Deutschen haben den „Stern“, Österreich hat „News“.

Gut, nehmen wir Deutschland her: Der „Stern“ liegt bei elf bis zwölf Prozent, der Spiegel bei neun. „News“ ebenfalls, war aber schon bei 20 Prozent Reichweite. Wie hoch legen Sie sich da die Latte? 
AINETTER: Unser nächstes Ziel muss es sein, wieder zweistellige Reichweiten-Werte zu haben. Vielleicht sind mittelfristig auch wieder zwölf Prozent machbar.

Plus drei Prozentpunkte oder plus 30 Prozent – das nennt man ehrgeizig. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Macher der etablierten, heimischen Magazine derzeit schon froh sind, wenn sie ihr Vorjahresergebnis einigermaßen halten können.
AINETTER: Es ist immer gut, sich ehrgeizige Ziele zu setzen. Je höher man sich  Ziele setzt, desto mehr setzt man auch um.

Und desto eher scheitert man und bietet der gefürchtet hämischen Branche einen Grund zu lachen.
AINETTER: Die Branche ist so oder so ­hämisch.

Was macht „News“ so einzigartig, dass es in einer zunehmend digitalisierten Medienwelt überleben kann?
AINETTER: Wir haben in Österreich an der Nachrichtenmagazinfront „profil“ und „Format“. Und weit vor diesen beiden steht „News“. Es muss einen Platz für emotionalisierende Bilder und Storys geben. Und dieser Platz findet sich in „News“. Auch, weil viele Menschen lieber eine Wochenzeitung als eine Tageszeitung kaufen. Schließlich kriegt man viele daily news ja aus dem Internet. Dazu kommen die Gratis-Tageszeitungen. Das stärkt indirekt die Position eines gut gemachten Wochenmagazins. Man muss dann aber für sein Geld deutlich mehr geboten bekommen als in einer Gratiszeitung. Also: tiefere Recherche, Expertise, gesellschaftliche Relevanz, intelligenter Lifestyle.

Insgesamt wirkt „News“ in den vergangenen Jahren in Sachen Chefredaktion eher ratlos: Zuerst der Boulevardmann Atha Athanasiadis, der mit Titelgeschichten wie „Haiders Töchter – so schön, so jung, so traurig“ zu punkten versuchte. Dann das ruhige Duo Peter Pelinka/Corinna Milborn, das für Seriosität stand. Jetzt wieder Sie, der Boulevardist, der „Bild“ und „Heute“ als Stationen in seinem Arbeitsleben stehen hat.
AINETTER: Sie haben vergessen: ich habe auch zehn Jahre bei „News“ gearbeitet. Und ich bin durch die Schule von Alfred Worm gegangen. Bei dem habe ich sehr viel gelernt. Auch bei Wolfgang Fellner übrigens. Bei ihm ist man als Reporter täglich um sein Leben gelaufen. Und wenn man das ein paar Jahre lang gemacht hat, kann man mit Erfolgsdruck umgehen. Auch das ist für einen Chefredakteur wichtig. Man kann von Fellner übrigens noch etwas lernen – Begeisterung. Der freut sich selbst als 55-jähriger Millionär noch wie ein kleines Kind über eine geile Exklusivstory. Das hat er übrigens mit Kai Diekmann (Chefredakteur der „Bild“, Anm.) gemein: Man kann auch nach vielen Jahren noch für eine gute Story brennen – und sich über einen Fehler wie verrückt ärgern.

Ist Bild die richtige Referenz, wenn man News seriös leiten will? 
AINETTER: Interessant: wenn man in Österreich sagt, dass man von „Bild“ kommt, ist man sofort unten durch. Tiefster Boulevard, sozusagen. Ich glaube aber, dass „Bild“ intelligenten Boulevard macht. Was viele in Österreich nicht wissen: Bei „Bild“ arbeiten die Besten der Besten. Leute von „Spiegel“, „Stern“, „Focus“ und „Süddeutsche Zeitung“. „Bild“ ist eine geniale Schule.

Sie ist aber auch für rohe Storys bekannt, etwa für Ihr Gefängnis-Interview mit Josef Fritzl, das den Titel hatte: „Ich sprach mit dem Inzest-Monster“. War der Titel Ihre Idee?
AINETTER: Ja, das war mein Titel, ich halte ihn aber in der Rückschau nicht für besonders gelungen. Andererseits: die Story wurde in mehr als 100 Ländern zitiert, so gesehen war sie ein Erfolg. Das ändert nichts daran, dass ich diese Story niemals für ein österreichisches Medium gemacht hätte.

Das heißt, es gibt mehrere Ain­etters. Sie können quasi beliebig zwischen hartem Boulevard und Seriosität anlass- und mediumbezogen hin- und herschalten?
AINETTER: Ja.

Sie kennen beide Printmärkte: Was ist der relevante Unterschied zwischen Deutschland und Österreich?
AINETTER: Ganz einfach: Wenn man bei „Bild“ arbeitet, arbeitet man für zwölf Millionen Leser. Aber es reduziert sich nicht nur auf die Größe: die Länder funktionieren grundsätzlich anders. Ich glaube nicht, dass ein deutscher Chefredakteur „News“ führen könnte. Viele gute „Bild“-Schlagzeilen würden in Österreich nicht funktionieren. Das ist schwer zu erklären, aber die Leute hier sind anders. Ein bisserl verhaberter. Daher könnte man den Prominenten nicht so auf die Füße treten, wie dies „Bild“ macht.  Der Österreicher ist harmoniebedürftiger, da muss man als Blattmacher aufpassen. Wer also glaubt, ich werde aus „News“ eine „Bild“-Zeitung machen, irrt fundamental. Das würde nicht funktionieren, da würde ich scheitern. Ich muss die Balance finden zwischen Unterhaltung, dem Boulevard und der gesellschaftsrelevanten Geschichte. Und da wird mir mein Vorleben nicht im Weg stehe. Denn das besteht ja nicht nur aus den Zeitungen Bild und Heute, sondern auch aus zehn Jahre News und einem Studium der Germanistik, Philosophie und Psychologie.

„News“ hat in den vergangenen zehn Jahren bei der Media-Analyse ziemlich genau 50 Prozent verloren, dazu der Schwindel in der Österreichischen Auflagenkontrolle und massive Rückgänge an der Inseratenfront: Ist Ihr Job nicht ein Himmelfahrtskommando? 
AINETTER: Generell leiste ich mir seit Jahren den Luxus, dass mich nur die Redaktion interessiert. Wenn dann auch wieder mehr Inseratenkunden zu uns finden sollten, würde mich das freuen. Aber als Chefredakteur ist ausschließlich der redaktionelle Content mein Job.

Die „News“-Mehrheitseigentümer Gruner+Jahr haben einen strengen Verhaltenskodex. „News“-Geschäftsführer Matthias Schönwandt musste 2011 nach nur drei Monaten gehen, weil er mit kleinen Geschenken für Anzeigenkunden gegen das Regelwerk verstoßen hat. Nun haben Sie in Ihrer Redaktion einen Ressortleiter, dessen Name vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss auf der Jagdeinladungsliste des Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly aufgetaucht ist. Was werden Sie tun?
AINETTER: Ich muss erst mit dem Kollegen reden, um mir dann ein Urteil bilden zu können. Aber für mich gilt: ich will nicht, dass die Redaktion Geschenke annimmt. Grundsätzlich nicht.

Die stellvertretende Chefredakteurin Corinna Milborn verlässt „News“. Das ist zeitgleich mit Ihrer Ernennung bekannt geworden. Gibt es da einen Zusammenhang? 
AINETTER: Das sollten Sie Frau Milborn selbst fragen – wie ich es getan habe. Ich kann Ihnen verraten – ihre Entscheidung hat mit ihrer persönlichen Lebensplanung und nichts mit mir zu tun.

Wer wird Milborn nachfolgen?
AINETTER: Ich führe Gespräche.

Intern oder extern?
AINETTER: Wir werden die bestmögliche Besetzung umsetzen.

Haben Sie überhaupt das Budget, um neue Leute zu „News“ zu holen? 
AINETTER: Wir haben vom Verlag die größte Unterstützung.

Tweet petit – ein Twitter-Dramolett in drei Akten

1. AKT

Ein Tweet.
Ein Fav.
Ein Retweet.

Ein Gegenargument.

2. AKT

Herr Kofler gratuliert.
Die Czekay schickt Herzeln.
Der Heshmatpour macht sich auch noch lustig.
Der Renner überlegt, mit wem er über den Heshmatpour reden soll.
Der Rabl weiß alles besser.
Die Koller sagt es ihm.
Die Czekay auch – nur deutlicher.
Der Rabl mault zurück.
Die Alvir sagt ihm, er soll scheißen gehen.
Der Fussi will, dass die Alvir die Staatsbürgerschaft verliert.
Der Wolf teilt mit, dass er seinen Staatsbürgerschaftsnachweis, wenn er wollte, via Facebook 5 Millionen Menschen zeigen könnte.
Der Hechl fragt ihn, wen das interessiert.
Die Frank richtet dem Hechl aus, er möge seine Pappn halten.
Der Sickinger findet, die Frank hätte ein #ff verdient.
Die Czekay teilt Sickinger mit, wohin er sich seine Empfehlungen stecken kann.
Der Pink findet, dass die Czekay recht hat.
Der Wolf beleidigt den Pink.
Der Hoflieferant beleidigt den Wolf.
Die Frank beleidigt den Hoflieferanten.
Der Herr Kofler zeichnet einen nackten Popsch.
Der Kosak meint, eine Diskussion, in der es nicht um Regierungsinserate geht,
könne er nicht ernst nehmen.
Der Wuchale schüttelt den Kopf.
Der Klausner steigt erst jetzt ein: er beginnt die Diskussion zu faven.
Die Koller wirft ein paar Nonmentions in die Runde.
Der Fussi fordert, dass der Koller das Wahlrecht entzogen wird.
Der Pendl sagt, das wäre egal. Hauptsache, die Pensionen sind sicher.
Die Lahartinger sagt: es gibt gar keine Pensionen. Alles Fake.
Der Bärnthaler gibt zu bedenken, dass man sich halt nie sicher kein kann. Bei nix.
Der Fleischhacker zieht sich empört zurück:
Bitte, wie soll man dagegen sein, wenn es keine Stoßrichtung gibt?
Der Hechl beleidigt den Fussi.
Der Alm favt das.
Der Chmelar reimt Fussi auf Tussi.
Der Prokopetz warnt vor dem Weltuntergang.
Der Wuchale schüttelt den Kopf.
Der Klausner ist mit den ersten 100 Favs fertig.
Der Klenk macht Snapshots für die nächste Falter-Story.
Der Narodoslawsky gratuliert dem Klenk.
Der Herr Kofler gratuliert dem Narodoslawsky.
Der Pink gratuliert auch.
Der Narodoslawsky weint und schreibt einen Blogbeitrag.
Der Settele meint, mit einer Glock ließe sich das alles regeln.
Die Moosmann schreibt „Alphadeppen“.
Die Koller favt das.
Die Czekay favt das.
Die Alvir favt das.
Die Kreulitsch wirft den Begriff Titten in die Diskussion.
Die Lahartinger sagt: es gibt gar keine Titten. Alles Fake.
Der Bärnthaler erinnert daran, dass halt nix sicher sei auf der Welt.
Die Steinitz liest in Hamburg mit – und fährt auf ein Auto auf.
Der Wuchale schüttelt den Kopf.
Der Chmelar schüttelt einen Reim.
Der Hechl schüttelt sich vor lauter Aufregung sein Bier über die Zillertaler Lederhose.
22 Twitterer faven das.
Der Unger sagt, daran merkt man wieder, dass der Hechl ein Dodl ist.
22 Twitterer faven das.
Die Hassan meint, der Hechl gehört sowieso schon längst ins Bett.
22 Twitterer faven das.
Herr Kofler zeichnet dem Hechl ein neues Bier.
Der Wolf schreibt, wenn er jetzt ein Bier zeichnete, wäre ganz Amerika durstig.
Die Lahartinger sagt: es gibt gar kein Bier. Alles Fake.
Der Bärnthaler sagt: Blödsinn! Bier gibt es. Da könne man sich sicher sein.

3. AKT

Gegen null Uhr steigt der Buchegger aus seiner Gruft
und arbeitet das Twitter-Dramolett filosofisch auf.

Drei Stunden später setzt der Klausner seinen letzten Fav.
Er weiß: Jetzt muss er schnell schlafen.
Denn schon bald wird er wieder gebraucht.
Er wird in dieser Nacht von einem Falter-Cover träumen, das einen biertrinkenden Wolf mit Fake-Titten zeigt.

Im Gratulierium

Gratuliere!

Mit diesem Wort habe ich mich über Benedikt Narodoslawsky von der Wiener Stadtzeitung „Falter“ lustig gemacht, weil er auf Twitter seinen Chef im direkten Gepräch gelobt hat (siehe Tweet unten). Er hätte auch, meinte ich, ins Nebenbüro gehen und es ihm unter vier Augen sagen können. Hätte ich souveräner gefunden.

Ein paar Leute sahen es ähnlich, es folgten etliche harmlos-hämische Gratulations-Tweets. So weit, so deppert, so schnell auch wieder vorbei.

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Der Kollege sah sich jedoch veranlasst, eine Szene zu machen und in seinem Blog zu einem Mimimi der Extraklasse auszuholen. Mit dem bemerkenswerten Schlusssatz, dass er sich von so „substanzloser Kacke“ nicht „anpissen“ ließe. Ja, eh. Knapp 6000 Zeichen deuten auf enorme Coolness.

Der Inhalt seines Textes? Relevante Teile handeln von (der unbestrittenen) Arbeitsintensität und -qualität seines Chefs, was aufmerksame Leser dazu bringen könnte, ein Muster zu erkennen.

Auch die Aufzählung anderer Kollegen, die Narodoslawsky bereits gelobt habe und die zeigen sollten, wie völlig normal der Gratulations-Tweet an seinen Vorgesetzten gewesen sei, lenkt nur von dem einen, kleinen Aspekt ab, auf den ich eigentlich hinweisen wollte:

WER SEINEN CHEF AUF TWITTER
IM DIREKTEN GESPRÄCH LOBT,

IST FÜR MICH EIN SCHLEIMER.

Meine Meinung. Und die vieler Anderer. So etwas sollte man (zumal als Journalist, der selbst gerne austeilt) aushalten, wie ich meine. Hätte man zum Bespiel ignorieren oder mit einem lässigen Schmäh parieren können. Oder ein herzhaftes „Volltrotteln“ absondern können. Dass Narodoslawsky mit Beleidigen und Abkanzeln kein grundsätzliches Problem hat, merkt man ja an seinem Blog-Beitrag.

Aber eine dünnhäutige Mobbing-Nummer abziehen? Jössas.

PS: Ich halte es nicht einmal für besonders schlimm, ein Schleimer zu sein. Ist ja nur eine Facette des Ganzen. Wir alle haben negative Seiten. Ich zum Beispiel kann ungerecht, jähzornig und unbeherrscht sein. Allerdings gestehe ich mir meine beträchtlichen Defizite ein. Und zu jedem, der dies ebenfalls wenigstens versucht, sage ich ein ernstgemeintes: Gratuliere!

Gute Seiten, schlechte Zeiten

(Dieser Beitrag erschien im Herbst 2012 im österreichischen Branchenmagazin ExtraDienst als Coverstory)

DIE PRESSE, WIRTSCHAFTSBLATT, KLEINE ZEITUNG: DIE STYRIA FEUERTE HEUER BEREITS SIEBEN TOP-MANAGER. DABEI HAT SIE SICH UM IHRE GRÖSSTEN SORGENKINDER NOCH GAR NICHT GEKÜMMERT…

Das Ausmaß einer Erregung hängt von vielen Faktoren ab. Vor allem aber von seiner Exklusivität. Anders formuliert: Wem es gelingt, eine bestimmte Handlung, eine besondere Maßnahme als Erster zu setzen, wer etwas Realität werden lässt, das vor ihm noch keiner getan hat, dem wird viel Aufmerksamkeit zuteil. Manchmal sogar mehr, als ihm selbst Recht ist. Genau so ergeht es derzeit der Styria.

Der internationale Medienkonzern mit Zentrale in Graz ist seit Wochen das Einser-Gesprächsthema in der Kommunikationsbranche. Was Wunder: Immerhin räumte er in für österreichische Verhältnisse beinharter Konsequenz in den Chefetagen seiner Premium-Printmarken auf: Quasi die gesamte Spitze der beiden Tageszeitungen Die Presse und WirtschaftsBlatt wurde vor die Tür gesetzt bzw. ging freiwillig.

Wobei letzterer ein schwammiger Begriff ist, wie einer der Geschassten ExtraDienst off records anvertraute: „Was heißt hier freiwillig? Man kann die Arbeitsbedingungen so lange scheibchenweise verändern, bis man keine andere Wahl mehr hat, als zu gehen. Irgendwo hat jeder den Punkt, an dem er sagen muss: Hier kann ich nicht mehr mit.“  „Nicht mehr mit“ konnten oder wollten:

  • Reinhold Gmeinbauer: Hoch angesehener Geschäftsführer der Presse. Vor Kurzem von der Medienbranche noch zum Manager des Jahres gewählt.
  • Michael Fleischhacker: Der mit großem Abstand kontroversiellste (der einzige?) Chefredakteur des Landes, unter dem Die Presse an -Profil gewann.
  • Hans Gasser: WirtschaftsBlatt-Boss und Noch-VÖZ-Präsident. Einer der erfahrensten Medienmanager in Österreich. Er war zuvor Geschäftsführer der Süddeutschen Zeitung und Gründer der kroatischen Styria-Erfolgsboulevardzeitung 24sata.
  • Klaus Hoffmann: Nach Gasser die „Nummer 2“ im Management des WirtschaftsBlattes.
  • Wolfgang Unterhuber: Als langjähriger Chefredakteur eines der letzten Gründungsmitglieder des WirtschaftsBlattes. Sie alle verlassen die beiden Tageszeitungen, werden die radikale Umstrukturierung der Marken nicht mitgestalten. An ihrer statt setzte die Styria neue, jüngere Leute ein. Der vormalige Regionalmedien Austria-Geschäftsführer Michael Tillian (38) wird mit Herwig Langanger (34), einem „Überlebenden“ aus der alten Presse-Führung, die Aufgabe haben, die Blätter wirtschaftlich erfolgreicher zu machen. Redaktionell liegt die Verantwortung künftig bei Rainer Nowak (39, Die Presse) und Esther Mitterstieler (WirtschaftsBlatt).

Mit einem Schlag trennte sich die Styria also von mehr als 100 Jahren publizistischer und verlegerischer Erfahrung. So einen radikalen Schnitt gab es hierzulande noch nie. Nur logisch, dass die Konkurrenz von einem „Blutbad“ schrieb und ein beinahe lächerliches Ausmaß der nun anstehenden Kündigungswelle herbeizuschreiben trachtete: Bis zu 60 Personen müssten die Zeitungen demnächst verlassen …

Doch auch wenn die Zahl der Kündigungen niedriger sein wird: die Lage ist ernst. Zumal die Umwälzungen bei Presse und WirtschaftsBlatt nicht alleine stehen. Nur wenige Monate davor hatte das personelle Abholzen im Blätterwald im Süden begonnen. Von den Wiener Medienjournalisten fast unbemerkt verabschiedete die Styria mit Walter Walzl und Helga Schrott gleich zwei von drei Geschäftsführern der Konzern-Cashcow, der Kleinen Zeitung. Walzl waren, nach erfolgreichen Jahren, die Ideen ausgegangen, wie man die tendenziell sinkenden Werbeerlöse wieder pushen könnte; Schrott wechselte ohne nähere Begründungen in die Bildungskarenz. Eine Rückkehr in die Geschäftsführung wird es nicht geben.

Damit sitzt neben Chefredakteur Hubert Patterer künftig nur noch ein neuer, starker Mann in der Kleine-Chefetage: Dietmar Zikulnig, der für die Styria schon an mehreren Fronten erfolgreich gekämpft hat – unter anderem in Kroatien.  Unter dem Strich bleibt eine atemberaubende Bilanz: Sieben Topmanager in einem halben Jahr weg.

„Styria ist finanziell noch nie so gut dagestanden“

Logische Frage an Styria-Vorstand Klaus Schweighofer: Wie schlecht geht es dem Konzern? Muss man sich ernsthafte Sorgen machen? Schweighofer winkt ab: „Der Styria geht es ausgezeichnet. Dass 2012 kein einfaches Jahr ist, gilt als allgemein bekannt. In Summe sind wir aber exzellent aufgestellt.“ Mehr noch: „Die gesamte Styria ist finanziell noch nie so gut dagestanden wie derzeit.“ Wie aber passen solcherart beschriebene Top-Verhältnisse mit den jüngsten Personalentscheidungen zusammen? Noch dazu, wenn sich sowohl Die Presse als auch das WirtschaftsBlatt zuletzt ökonomisch verbessert haben. Das WirtschaftsBlatt etwa war noch vor Kurzem eine verlässliche Zuschuss-Zeitung, 2011 soll man erstmals schwarze Zahlen geschrieben haben. Das bestätigen sowohl Ex-Chef Hans Gasser als auch Klaus Schweighofer. Zudem liege das EBITDA für die WirtschaftsBlatt Medien GmbH für das erste Halbjahr 2012 über den Werten des Topjahres 2011. Die einfache Antwort: Die Styria hat die Geduld mit den beiden Großformaten verloren.

Bei der Presse hat man seit mehr als 20 Jahren das Sagen, das WirtschaftsBlatt gehört seit der Übernahme der Anteile des schwedischen Bonnier-Verlages 2006/2007 zur Gänze zum Konzern. Wenn aber nach all den Jahren nicht mehr herausschaut, als dass man – nach Abzug der siebenstelligen Presseförderung – nur kumuliert leicht im Plus ist, wie Styria-Boss Schweighofer zugibt, kann man verstehen, dass das Geschäftsmodell von Grund auf neu überdacht wird. Die Formel „Gute Seiten, aber kommerziell schlechte Zeiten“ soll, nach dem Willen der Eigentümer, endgültig der Vergangenheit angehören. Und für diesen Neustart wurde nun der spektakuläre Startschuss gegeben.

Tillians schwere Aufgabe: Gewinn mit beiden Blättern

Michael Tillian heißt der Mann, der die beiden Titel nachhaltig in die Gewinnzone führen soll. Mit nur 39 Jahren steht der Jurist aus Vorarlberg, der zuvor bei den Styria-Magazinen und den Regionalmedien Austria als Geschäftsführer gearbeitet hat, damit vor seiner größten Herausforderung: „Die Aufgabe ist eine besonders schwere. Das muss man offen sagen“, spricht er beim Interview mit ExtraDienst Klartext. Und es könne durchaus passieren, „dass wir stürmische Zeiten haben werden.“

Damit spricht Tillian die bevorstehenden Kündigungen bei Presse und WirtschaftsBlatt an. Denn ohne personelle Maßnahmen werde die Restrukturierung nicht funktionieren, sagt auch Klaus Schweighofer: „Es werden Mitarbeiter abgebaut. Weil wir ein Kostenniveau haben, das uns zwar im Moment reicht, um gerade positiv zu sein, das uns aber nachhaltig Probleme bereiten wird.“  Wie weit der Personalabbau die Redaktionen der beiden Häuser betrifft, ist noch unklar. Derzeit tüfteln die Neo-Chefredakteure Rainer Nowak und Esther Mitterstieler über ihrer zunächst schwersten und wohl unangenehmsten Aufgabe: Sie müssen einen redaktionellen Personalplan erstellen. Soll heißen: Sie legen fest, wer bleiben darf und wer nicht. Viel Zeit gibt ihnen der neue Boss nicht: „Jedenfalls noch im Oktober“ werde es ein genaues Konzept geben, sagt Tillian, der aus seiner vor Jahren zu langatmig geratenen Restrukturierung des Styria Magazinverlages gelernt haben will: Schmerzhafte Einschnitte müssten schnell passieren. Schließlich gilt es, so bald wie möglich mit neuen Konzepten und Produkten am Markt aufzutreten und das „enorme Potenzial der beiden Marken“, so Tillian, bestmöglich zu nutzen.

Allzuviel Hoffnung auf rasche Rendite will Tillian der Styria aber nicht machen, schließlich kosten Restrukturierungen in der Anfangsphase meist Geld: „Die Zeit, die für professionelle, konzentrierte Arbeit nötig ist, wird man mir geben müssen.“ Wie lange man dazu bereit sein wird, stellt Styria-Boss Schweighofer gegenüber ExtraDienst klar: „Ich denke, dass das gesamte Paket nach zwei Jahren abgeschlossen sein wird.“  Angesichts der einschneidenden Maßnahmen meldete sich zuletzt ausgerechnet Horst Pirker zu Wort: Sparen allein, so der Ex-Styria-Boss im Format-Interview, erscheine ihm kein tragfähiges Konzept … Dennoch, so Pirker, könne man Zeitungen heute noch gewinnbringend führen.

Fiasko in Slowenien

Doch egal, wie erfolgreich der Neustart von Presse und WirtschaftsBlatt auch sein wird – die Wiener Zeitungen waren und sind nicht das wirkliche Problem des steirischen Medienunternehmens. Das liegt jenseits der österreichischen Grenze, im Süden. Etwa in Slowenien. Dort können die Styria-Medien zwar auf passable Marktanteile verweisen, doch bei den harten Fakten gibt es grobe Schwächen. Seit dem Eintritt in den Markt mit der Etablierung der Gratiswochenzeitung Zurnal und einer Beteiligung an der Tageszeitung Dnevnik vor fast zehn Jahren sollen die Verluste in Slowenien, wie zahlenversierte Konzern-Insider zu berichten wissen, an die 40 Millionen Euro betragen. Die Styria will diese Summe offiziell weder bestätigen noch dementieren.

Als Kardinalfehler gilt eine Maßnahmen von Horst Pirker aus dem Jahr 2007. Damals installierte der Ex-Alleinherrscher zur tadellos performenden Wochenzeitung Zurnal auch noch eine Gratis-Tagezeitung, Zurnal24. Doch wenn man seine Produkte gratis auf den Markt bringt, ist man umso mehr von der Wirtschaftskraft einer Region, eines Landes abhängig. Schließlich hängen dann 100 Prozent der Finanzierung von Inseraten ab. Alleine: Das vormals als wirtschaftliches Vorzeigeland gehandelte Slowenien befindet sich seit 2009 in einer schweren Krise, zuletzt war man gar ein Kandidat für den Europäischen Finanzrettungsschirm.

Dass Zurnal Media, wie der Zusammenschluss der slowenischen Styria-Marken heißt, den Break-Even 2013, wie ursprünglich angenommen, erreicht, gilt trotz weitreichender Sparmaßnahmen als nur sehr schwer erreichbares Ziel. Obwohl schon in allen Bereichen reduziert wurde, werden weitere Sparmaßnahmen kaum zu vermeiden sein. Und längst bezweifelt man in der Styria, dass der Zwei-Millionen-Einwohner-Markt – unabhängig von der aktuellen Krise – selbst in ökonomisch besseren Zeiten eine Gratis-Tageszeitung tragen kann. Konsequenterweise gilt Slowenien als einer der Hauptgründe für den Abgang Horst Pirkers als Styria-Boss im Jahr 2010.

Licht und Schatten in Kroatien

Auch in Kroatien läuft bei weitem nicht alles nach Plan. Das Land wurde schwer von der Wirtschaftskrise gebeutelt, die Auswirkungen auf das Mediengeschäft waren und sind fatal. 25 bis 30 Prozent Minus, mehrere Jahre hintereinander – das geht bei jeder Zeitung an die Substanz. Vor allem das alteingesessene Blatt Vecernji List leidet. Und das trotz schwerer Einschnitte an der Kostenseite, die als so hart empfunden wurden, dass erst im sprichwörtlich letzten Augenblick ein von der Gewerkschaft forcierter Streik abgewendet werden konnte. Die Auflage von Vecernji List soll indes, wie Kenner ExtraDienst bestätigen, von einst über 150.000 auf deutlich fast die Hälfte zurückgegangen sein.

Ausgezeichnet schlägt sich hingegen 24sata, das Kleinformat, das die Styria 2005 für den kroatischen Markt launchte. Binnen drei Jahren war die Marke sowohl am Print- als auch am Onlinesegment Marktführer, mittlerweile gibt es sogar einen eigenen TV-Kanal. Gründungshelfer vor sieben Jahren war übrigens Hans Gasser, der nun als Chef beim WirtschaftsBlatt abgetreten ist…

Was der Styria bei ihren Süd-Invests zusätzliche Sorgen bereitet: Die Vorhersagen für die Wirtschaftsentwicklung in Kroatien und Slowenien sind auf absehbare Zeit bescheiden.  Zentrale Frage: Wie soll man mit den angeschlagenen Zeitungen umgehen? Ein (teilweiser) Rückzug aus der Region würde einerseits das hohe Ansehen der Styria in den beiden Ländern beschädigen. Doch andererseits verfolgen die neuen Bosse – Wolfgang Bretschko, Klaus Schweighofer und Finanzvorstand Malte von Trotha – angetrieben vom Aufsichtsrat unter Friedrich Santner (die zentrale Person hinter allen Sparmaßnahmen), eine andere Philosophie als Vorgänger Horst Pirker. Dessen oberstes Credo war das Halten der Märkte. Koste es, was es wolle.

Das ging so weit, dass Pirker 2006 sogar einen Schnellschuss namens „OK“ auf den Steirischen und Kärntner Markt losließ: Eine Gratis-Tageszeitung, die ohne klassischem Vertriebsambiente „U-Bahn“ in Graz und Klagenfurt via Dispenser und Studenten verteilt wurde. Ursache für die Neugründung: Eva Dichand hatte ihr Gratisblatt Heute vorübergehend auch in Graz erscheinen lassen. Laut Pirker hatte sich die Styria den publizistischen Abwehrkampf für „den Heimmarkt der Kleinen Zeitung“ mehr als fünf Millionen Euro kosten lassen. Konzernintern jedenfalls gilt das Projekt als Fiasko.

Pirkers Nachfolger treten aus dem Schatten

Für Pirkers Nachfolger sind territoriale Zugänge nicht mehr ganz so zentral, für sie zählt primär die Frage nach dem Gewinn. Wer zu schlecht performt, kommt weg: Das regionale Sorgenkind Steirer Monat, das zu Pirkers Zeiten rund zwei Millionen Euro verbrannte, gab man mehrheitlich an die Moser Holding ab, den (zu wenig) positiv bilanzierenden Kärntner Monat gleich dazu. Den Regionalsender „Radio Harmonie“ stellt man überhaupt ein, in der Pirker-Ära wurden noch gesellschaftliche Scheinkonstruktionen gegründet, um die Lizenz zu behalten. Diverse Regional-TV-Sender wurden bereits zuvor verkauft. In Summe scheint die Linie des neuen Vorstandes klar: Die Verteidigung einer bestimmten Region gegen externe Konkurrenz reicht als Existenzberechtigung nicht mehr aus, jedes Unternehmen muss Profit machen. „Da waren wir in der Vergangenheit vielleicht nicht konsequent genug“, bestätigte Vorstandsvorsitzender Santner zuletzt gegenüber dem Standard.

Die stärkere Gewinnorientierung mag auch damit zusammenhängen, dass das wichtigste Unternehmen im Konzern, die Kleine Zeitung, zum Teil am Plafond der Möglichkeiten angekommen ist. Zuletzt musste man sich – in der Steiermark – erstmals mit deutlich sinkenden Zahlen bei der MediaAnalyse auseinandersetzen. In der seit vielen Jahren erfolgsverwöhnten Zentrale der Zeitung eine völlig ungewohnte Situation. Dass auch die Inseraten-Erlöse im schwierigen Jahr 2012 nicht ins Unermessliche wachsen, rundet das Bild eines erfolgreichen Mediums ab, das sich nach vielen Jahren der Expansion nun erstmals mit dem Szenario der Stagnation auseinandersetzen muss. „National liegen wir drei bis vier Prozent hinter dem Vorjahr“, sagt der frisch installierte Geschäftsführer Dietmar Zikulnig, die regionalen Märkte (Steiermark und Kärnten) funktionierten nach wie vor sehr gut: „Wir werden ein hervorragendes Ergebnis erwirtschaften. Das beste aller Zeiten wird es aber nicht sein.“ Fazit: Man muss sich keine Sorgen um die Kleine machen – nicht einmal ansatzweise: Das Blatt schaffte zuletzt an die 15 Prozent Umsatzrendite, spülte bis zu 20 Millionen in die Styria-Kassen. Auch heuer sind Insidern zufolge 13 Prozent Rendite machbar. Spätestens jetzt müssten allen anderen Tageszeitungs-Bossen in Österreich die Tränen in die Augen steigen. Das Ergebnis eines „schlechten“ Jahres bei der Kleinen wäre für fast alle anderen hierzulande ein Rekord.

Doch die Kleine muss sich nicht nur selbst erhalten, sie muss auch die nicht rentablen Styria-Medien mitfinanzieren. Nicht zuletzt deshalb muss die Kleine mit ihrer Markenstrahlkraft neue Einnahmequellen auftun: Die „Kinderzeitung“ wurde zu einem Erfolg, an die 10.000 Abonnenten zeigen, dass diese Produkt Potenzial hat. Auch die Presse wird nun ein eng an das Kleine-Konzept angelegtes Produkt für potenzielle Abonnenten der Zukunft auf den Markt bringen.

Weniger gut verlief der Versuch, ein regionales Wirtschaftsmagazin auf den Markt zu bringen: „Primus“ nannte sich das Experiment, das kapital gescheitert ist. Das eigentlich als Kaufmagazin angedachte Produkt fand keine Abnehmer, soll daher quartalsmäßig der Kleinen gratis beigelegt werden. Der Schaden, der redaktionsintern kolportiert wird, beläuft sich auf mehr als 500.000 Euro.

Ein zentrales Betätigungsfeld der Zukunft findet sich online. Doch in diesem Bereich sind die Defizite des Konzern am deutlichsten zu sehen: kaum nennenswerte Eigenmarken, viel zu sehr auf Digital-Versionen der Printtitel fixiert. Zukunftsorientierung sieht anders aus. In der Nach-Pirker-Ära soll alles besser werden – und kostenbewusster: Während die Kleine noch heuer ihre Homepage mit einer Bezahlschranke versehen will und gerade diverse Digital-Abo-Varianten durchrechnet, arbeitet der Konzern im Hintergrund an großen Digitalprojekten.

Auch TV-Formate, mit denen man in Kroatien gute Erfahrungen gemacht hat, werden für Wien angedacht.  Weit gediehen sind auch die Pläne für den seit bald zehn Jahren in der Schwebe hängenden Neubau der Konzernzentrale in Graz. Das ursprünglich fast 80 Millionen schwere Projekt wurde auf rund die Hälfte zurechtgeschrumpft. Nach unzähligen Verschiebungen dürften nun endlich alle Genehmigungen eingeholt sein. Der Spatenstich für das Prestigeprojekt im Bereich der Grazer Messehalle könnte noch heuer stattfinden. Indizien dafür: In den Ressorts der Styria-Medien wird gerade der Platzbedarf im Neubau definiert, zudem soll die erste Finanztranche für die Baukosten fest im Budget 2013 verankert worden sein.

Apropos 2013: Auch für dieses Jahr stellt man sich im Konzern auf schwere Zeiten ein. Kleine-Geschäftsführer Dietmar Zikulnig: „Ich glaube, wir werden es auch 2013 noch schwierig haben.“  In den Chefetagen des Konzerns dürfte es ob solcher Aussichten vermutlich bereits vermehrt zu Schweiß-Ausbrüchen kommen.

Entwertung einer Branche

Im April 1997 erhielt ich, nach Jahren als freier Journalist, meine erste Anstellung. Bei der Kleinen Zeitung. Einstufung laut Kollektivvertrag: „Redakteur im 2. Jahr“. Das waren 25.373 Schilling brutto (1.843 Euro). Mit dem obligaten und voll bezahlten Sonntagsdienst stand immer ein 2er voran. Zweimal pro Jahr, wenn Urlaubs- oder Weihnachtsgeld und dazu je ein halbes 15. Gehalt überwiesen wurden, kratzte der Betrag, der vom Gehaltszettel lachte, an der 5.000-Euro-Marke.

Damit war man zwar nicht reich, aber es ließ sich doch Einiges machen. Zum Beispiel ein üppigerer Urlaub, auch Übersee. Und sogar über Auto oder Eigentumswohnung konnte man sich zumindest Gedanken machen. Es war nicht a priori sinnlos.

16 Jahre später haben sich Journalistengewerkschaft und Verleger nun auf einen neuen Kollektivvertrag geeinigt. Er wird Redakteure von Print- und Onlinemedien erstmals gleich behandeln. Gleich schlecht, um genau zu sein. Denn der von vielen Seiten (vor allem auf Twitter) als „wunderbar“, „überfällig“ und blabla bezeichnete Kompromiss besagt: Wer (um den Vergleich zu meinem Berufsanfang möglich zu machen) nach Jahren als „Freier Journalist“ ab Mitte 2013 einen Vertrag mit der Anstellungsstufe „Redakteur im 2. Jahr“ erhält, darf sich über 2.285 Euro brutto freuen. 14 mal. Denn das 15. Gehalt – einst Pauschalabgeltung für Überstunden – wurde nun gestrichen.

Hä?

Nimmt man meinen alten Vertrag von 1997 her und rechnet ihn anhand der offiziellen Inflationstabelle ins Jahr 2013 hoch, landet man bei monatlich 2.491 Euro. Der „KV alt“ zeigt in der Tariftabelle sogar 2.687 Euro an. Die Jahresgage reduziert sich fortan, gerundet, von 40.000 auf 32.000 Euro. „KV neu“ bringt also ein Minus von ungefähr 8.000 Euro. Schlagartig wurde der Wert journalistischer Arbeit am Papier um 20 Prozent reduziert.

Ja, ja, schon klar: Fast kein Journalist wurde zuletzt überhaupt noch nach den alten Kriterien angestellt. Und niemand verliert die Brutto-Summe. Aber ca 5.500 Euro netto bleiben picken. Jedes Jahr. Urlaub, Auto, Wohnung? Wohl eher Last-Minute-Wochenend-Trip, Öffis und Wohngemeinschaft.

Dass gerade viele Journalisten nicht des Geldes wegen arbeiten und Entlohnung durch Leidenschaft zu ersetzen bereit sind, ist bekannt. Faire Entlohnung – fast alle jungen Kollegen sind Akademiker und bringen zahlreiche Zusatzqualifikationen (alleine im technischen Bereich!) mit – kann man aber doch erwarten. Zumal die Verleger ja schon in den vergangenen Jahren die Branche systematisch und wissentlich sabotiert haben:

Zunächst wurden das Layout dezimiert oder überhaupt abgeschafft, dann das Lektorat. Und Fotografen sind auch eine aussterbende Gattung. All diese Jobs wurden, ohne Mehrentlohnung, auf die eierlegende Wollmilchsau vulgo Journalist abgewälzt. Falls im Printbereich tätig, sieht dessen Arbeitstag mittlerweile bei immer mehr Zeitungen so aus: Zuerst layoutiert er seine Seiten selbst, dann recherchiert und schreibt er, nebenbei werden Bilder geschossen und teils auch noch selbst druckfertig bearbeitet, am Ende lektoriert man sich – bestenfalls – gegenseitig.

Noch einmal fürs Protokoll: Layout, Text, Foto, Lektorat – das waren noch vor wenigen Jahren vier Berufe.
VIER BERUFE.
VIER GEHÄLTER.
Zeitungsjournalisten wurde also zuerst über die Jahre das Arbeitspensum verdoppelt und nun, quasi als Dank, das Einstiegsgehalt Richtung Edel-Prekariat reduziert.

Auch, dass fast alle Online-Redakteure mit der neuen Regelung besser dastehen als zuvor, sagt weniger über die Qualität des Kompromisses aus, als über die i digitalen Bereich noch spektakulärere Skrupellosigkeit der Branche. Das gesamte Online-Segment wurde seit den 1990er-Jahren auf Basis von Gesetzlosigkeit auf- und ausgebaut.

Korrekter Kollektivvertrag? Geh!

Überstundenregelungen? Ich bitte Sie!

Jährliche Vorrückungen? Wir müssen ja nicht gleich übertreiben.

Immerhin: mit diesem Digital-Irrsinn dürfte der neue KV endlich Schluss machen. Obwohl: Was weniger wäre möglich gewesen?

Halt, stop, Momenterl: hier muss ich mich korrigieren! Verlegern, die sich zuerst mit illegalen Arbeitsverträgen im Onlinebereich ihre eigene Dumpingkonkurrenz zu den Printmodellen aufgebaut haben – und die daraus resultierenden Gehaltsunterschiede dann als Begründung für die Einkommensreduktion der gesamten Branche hernehmen, wäre wohl noch Schlimmeres zuzutrauen gewesen.

PS: Ein Berufsanfänger von heute wird, verglichen mit meinem eingangs erwähnten Startgehalt von 1997, in seinen ersten 16 Berufsjahren rein mathematisch und Daumen mal Pi rund 150.000 Euro an Gehalt verlieren.

Augenmaßlos

Ein junger Mann bewirbt sich beim ORF, ackert sich stundenlang durch ein Assessment-Center und erfährt nach ein paar Wochen, dass die Akademie, in die er aufgenommen werden wollte, überraschenderweise gar nicht zustande kommt. Da ist also etwas kräftig schiefgelaufen beim ORF. Der junge Mann ist frustriert. Und zornig. Er schreibt sich seinen Ärger in einem Blogeintrag von der Seele. Ein mittelmäßiger Text. Voller Selbstmitleid und mit teils dummen Argumenten. Vielleicht ein Schnellschuss. Dennoch: man kann Sympathie für den Schreiber aufbringen. Wer am Anfang seiner Journalistenkarriere steht, ist idealistisch und voller Tatendrang. Ablehnung, zumal eine derart kuriose, passt da nicht ins Konzept.

Die offensichtlichen Schwächen des Textes hindern den Standard nicht, ihn online zu publizieren. Auf einer der meistgelesenen Seiten Österreichs. Eine bemerkenswerte journalistische Fehlentscheidung. Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit? Was hat ein Beleidigte-Leberwurst-Elaborat im ORF-Special des Standard zu suchen – zwischen brisanten Rechnungshofberichten und Stiftungsrat-Diskussionen?

In Wahrheit hätte man den jungen Mann mit Diskretion vor sich selbst schützen müssen. Doch der Standard entschied sich dafür, ihn lieber zu missbrauchen. Für ein bisserl ORF-Bashing. Wie es zu erwarten war, gerät der Schreiber in der folgenden Online-Diskussion ratzfatz zwischen alle Fronten – und dabei vor allem in die Schusslinie von ganz Großen der Branche: Denn sogar ORF-Anchorman Armin Wolf meint plötzlich, via Social Media den Heißsporn zurechtweisen zu müssen. Dass er ihm dabei, quasi nebenbei, vor 100.000 Facebook-Freunden und 75.000 Twitter-Followern, Beistrichfehler vorwirft, ist der Tiefpunkt einer Debatte, bei der am Ende die Routiniers noch mehr das Außenmaß verloren haben als der Anfänger. Und die mit etwas mehr Feingefühl beim Standard nie angefangen hätte.

Denn News-Wert hat das Ganze keinen: Dass die Ausbildung bei Österreichs Medien darniederliegt, dass die Bezahlung junger Journalisten beschämend ist, dass der Alltag der Berufsanfänger von Rückschlägen und Demütigungen gekennzeichnet ist, weiß man längst. Und auch, dass prominente, erfolgreiche und an sich gute Journalisten ab und an so richtig daneben hauen können.